Das innere Kind – der Weg zu Lebensfreude und Heilung

Stehst du auch manchmal vor einer Pfütze und möchtest barfuß rein springen? Ja? Aber dann denkst du: „Ich bin doch kein Kind mehr!“ und verkneifst es dir. Aber egal, wie alt, grau und faltig wir sind, etwas in uns möchte in Pfützen springen. Ist es das innere Kind? Wer verbietet uns die Lebensfreude? Gibt es ein inneres Team? Wenn wir uns selbst besser verstehen und heilen wollen, dann sollten wir diesen Fragen nachgehen. Ganz besonders, wenn wir unter den Folgen eines Kindheitstraumas leiden.

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Was ist das innere Kind?

„Nimm Kontakt zu deinem inneren Kind auf und kümmere dich um seine Bedürfnisse!“ Wer sich mit Persönlichkeitsentwicklung beschäftigt, kommt an dieser Message nicht vorbei. Es macht daher Sinn sich einmal eingehender dem Thema zuzuwenden.

Der Begriff des inneren Kindes wurde vor allem durch den katholischen Theologen und Psychologen John Bradshaw und die Psychotherapeutinnen Erika Chopich und Margaret Paul bekannt.

Als Kinder werden wir von unseren Bezugspersonen geprägt. Erfolgt diese Prägung unter guten Bedingungen, dann haben wir eine wundervolle Ressource für unser Leben. Sind die Bedingungen jedoch schlecht und das Kind ist von der Erfahrung total überfordert und kann sie nicht verarbeiten, dann erlebt es eine Traumatisierung.

Was wir als Kinder erleben, was wir fühlen, welche Schlussfolgerungen wir daraus ziehen und wie wir uns verhalten, wird im Gehirn und im Körpergedächtnis gespeichert.

Das innere Kind dient uns als Symbol für die Summe aller Prägungen, die wir als Kinder erfahren haben. Und es ist ein therapeutisches Konzept. Es geht davon aus, dass bestimmte Erfahrungen die wir in unserer Kindheit gemacht haben unser Erleben, Denken, Fühlen und unsere Verhaltensweisen im Erwachsenenalter unbewusst beeinflussen.

 

Wenn du deine Impulse aus der Hand geben möchtest und nicht genau weißt, an wen, dann empfehle ich dir meinen Leitfaden:

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Gibt es ein inneres Team?

Beispiel: „Ich will ein Eis!“

Ich sitze am Schreibtisch und schreibe an einem Text. Es ist ein heißer Sommertag. Während ich auf meine Tastatur klopfe, fühle ich kleine Schweißperlen auf meiner Stirn. Ich versuche mich zu konzentrieren.

Plötzlich schisst mir ein Gedanke in den Kopf.

Es ist die fröhliche Fünfjährige: „Ich will ein Eis! Mit 10 großen Kugeln!“

Sofort reagiert die Faulenzerin: „Super Idee! Ich habe eh keinen Bock mehr!“

Natürlich ist auch Frau Antreiberin da: „Den Text schreiben wir jetzt noch zu Ende!“

Auch Frau Pflichtbewusstsein fordert: „Wir haben einen Abgabetermin und den müssen wir einhalten!“

Die Lässige in mir meint cool: „Das schaffen wir doch locker!“

Frau Pflichtbewusstsein ist empört: „Das sagst du immer. Aber jetzt müssen wir arbeiten!“

Nun ist auch Frau Sorge wach geworden: „Stellt euch vor, wir werden nicht fertig, dann bekommen wir Ärger und kein Geld und nie wieder einen Auftrag!!!“

Die Lässige versucht zu beschwichtigen: „Ach, das klappt schon!“

Aber Frau Antreiberin hat genug: „Ende der Diskussion. Schreib weiter!“

 

Menschen kennen diese inneren Diskussionen. Vielleicht nicht in dieser Komplexität, aber wenn wir uns entscheiden müssen, dann sind wir oft „hin- und her gerissen!“. Spätestens dann merken wir, dass in uns verschiedene Anteile am Werk sind.

Der Psychologe Friedemann Schulz von Thun geht in seiner Arbeit von einem inneren Team aus. Jedes innere Teammitglied steht dabei für einen inneren Anteil oder Aspekt der gesamten Persönlichkeit eines Menschen.

Jedoch sind sich unserer Persönlichkeitsanteile nicht immer einig.

Den Grund dafür erklärt Verena König sehr anschaulich in ihrem Spiegel-Bestseller „Bin ich traumatisiert?“:

„Ein innerer Anteil stellt ein neuronales Netzwerk, also ein Netzwerk aus Nervenzellen dar, das sich aus wiederholten Erfahrungen gebildet hat. Ein solches Netzwerk enthält Erinnerungen und daran gekoppelt eine eigene Geschichte, bestehend aus Körperempfindungen, Emotionen und Gedanken. Somit haben innere Anteile ihre eigenen Ansichten, Überzeugungen, Weltanschauungen, Körperzustände, Bedürfnisse, ein eigenes Alter, eine eigene Funktion, eigene Symptome, Fähigkeiten, Affekte und Befindlichkeiten.“ (Verena König Auszug aus ihrem Buch „Bin ich traumatisiert?“, Seite 17, erschienen im Gräfe und Unzer Verlag)

Als ich diese Passage im Buch zum ersten Mal gelesen habe, musste ich tief durchatmen. So ein inneres Team zu leiten ist schon sehr komplex, aber oft sind wir uns der einzelnen Anteile gar nicht bewusst. Wir nehmen zwar einen inneren Konflikt wahr, aber dann dominieren doch wieder nur einzelne Anteile. Die anderen werden unterdrückt, überhört oder gar nicht gehört.

In einer Gesellschaft, die auf Leistung trimmt, bestimmt bei vielen Menschen, die Pflichtbewusste, der Workaholic oder die Antreiberin, was zu tun ist. Eine innere Diskussion findet oftmals gar nicht statt. Stattdessen wird geleistet und funktioniert.

 

Sonnenkind und Schattenkind

Die Bestseller-Autorin, Psychologin und Psychotherapeutin Stefanie Stahl beschränkt sich in ihrer Arbeit auf drei Instanzen, das Sonnenkind, das Schattenkind und den inneren Erwachsenen. Warum sie das so handhabt und was sie unter den Begriffen versteht, erklärte sie in einem Interview:

„Meine Erfahrung ist, dass die Leute schnell aussteigen, wenn es zu fummelig wird. Eigentlich reichen drei Instanzen aus: das Schattenkind, als Symbol für die negativen Kindheitsprägungen; das Sonnenkind, als Symbol für die positiven Prägungen und für alles, was wir uns heute als Erwachsene selbst neu gestalten können; und der innere Erwachsene, als Symbol für den Verstand und die Vernunft. Diese drei Instanzen sind in ihrer Symbolik für die Menschen wahnsinnig ansprechend, sodass sie dazu einen guten Draht entwickeln können.“ (Auszug aus einem Interview von Natalie Waschke, veröffentlicht auf psylife: https://psylife.de/magazin/inneres-kind-psychotherapie-stefanie-stahl)

 

Ego-States – die besondere Therapieform für Menschen mit Kindheitstrauma

Die Ego-State-Therapie ist eine der jüngsten Therapieformen der neueren Zeit. Sie wurde in den 1980er Jahren von den US-Amerikanern John und Helen Watkins entwickelt.

Menschen die traumatische Erfahrungen in ihrer Kindheit machen spalten unbewusst einzelne Anteile in verschiedene Anteile (Ego States) auf, die oftmals gegeneinander wirken. Dadurch schützt sich die Psyche des Kindes und es kann weiterleben, obwohl es Erfahrungen gemacht hat, die es zutiefst überfordert haben und die es nicht verarbeiten kann.

 

Beispiel:

Charlotte weiß, dass ihre Wutausbrüche ihrer fünfjährigen Tochter große Angst machen. Sie möchte nicht so wütend sein. Sie wünscht sich, sich besser beherrschen zu können. Dennoch gibt es da diesen Moment, da scheint eine Welle über sie zu fluten und sie erlebt sich wie ferngesteuert und schreit und wütet laut. Inzwischen braucht sie die verängstigten Augen ihrer Tochter gar nicht mehr zu sehen, um sich nach einem Wutausbruch schlecht zu fühlen. ´Sie hat versagt. Wieder einmal. Sie ist eine schlechte Mutter´. Charlotte verdrängt ihre Selbstvorwürfe, denn sie möchte ihr schlechtes Gewissen und all den Schmerz, der in ihr steckt, nicht spüren. Daher gibt sie ihrer Tochter die Schuld. Genauso hat es ihre Mutter mit ihr gemacht hat.

 

Die Folgen einer Traumatisierung in der Kindheit, zeigen sich im Erwachsenenleben oft sehr leidvoll. Besonders in nahen Beziehungen werden die traumatischen Bindungs-Erfahrungen reinszeniert.

Je mehr Persönlichkeitsanteile unbewusst in einem Menschen wirken, desto zerrissener fühlt er sich. Er erlebt viele innere und äußere Konflikte und fühlt sich von sich selbst und von der Welt getrennt.

Viele der Betroffenen wünschen sich so sehr „sich anders zu verhalten“, „anders zu empfinden“ und „anders zu sein“. Wenn dies wieder nicht gelingt, dann sind sie von sich selbst enttäuscht, frustriert, wütend auf sich und damit verstärkt sich ihr Leid noch zusätzlich. Sie fühlen sich wie in einer nie enden wollenden Spirale.

Das Ziel der Ego-State-Therapie ist es, dass die einzelnen Anteile in harmonischer Beziehung miteinander existieren und von der Person bewusst gelenkt werden können. Das wird erreicht, indem die unbewussten und unterdrückten Anteile ins Bewusstsein gebracht und integriert werden. Damit die Anteile besser miteinander kooperieren, bekommt jeder Anteil seinen Platz, die Konflikte zwischen den verschiedenen Ego-States werden aufgelöst und ihre Kommunikation miteinander verbessert.

 

Innere Kind / Innere Anteile -Arbeit – der Weg in ein glückliches Leben?

Die gute Nachricht ist, dass wir ein Leben lang lernen können.

Die Hirnforschung hat herausgefunden, dass das menschliche Gehirn in der Lage ist neue Nervenzellen zu bilden (Neurogenese). Es kann Synapsen, Nervenzellen und auch ganze Hirnareale, abhängig davon, wie wir sie nutzen, in ihrer Anatomie und Funktion verändern und optimieren. Diese Fähigkeit heißt Neoplastizität.

Wenn wir neue Erfahrungen machen, dann entwickeln sich neue Netzwerke in unserem Gehirn. Dadurch verändert sich unser Erleben, Denken und Fühlen.

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Als ich diesen Spruch das erste Mal gehört habe dachte ich, was für ein Schmarrn. Wie soll das denn gehen?

Inzwischen sind viele Jahre vergangen und ich habe verstanden, dass dieser Ausspruch nicht meint, dass wir de facto unsere Kindheit zu einer glücklichen machen können. Das geht nicht.

Aber wir können eine Wahl treffen. Wollen wir weiterhin im Opferdasein verharren oder wollen wir unser Leben gestalten und die Verantwortung dafür selbst übernehmen? Wir entscheiden wie wir Jetzt und in Zukunft leben wollen.

Entscheiden wir uns dazu die Verantwortung für unser Leben zu übernehmen, dann ist die Anteile- oder innere Kind Arbeit tatsächlich der Weg in ein glückliches Leben.

Durch die Innere Kind oder Anteile-Arbeit lernen wir, uns klar und bewusst dem Dialog in unserem Inneren zuzuwenden. So können wir die verschiedenen Anteile und ihre Bedürfnisse wahrnehmen und sind in der Lage nach einer konstruktiven Lösung zu suchen und den Konflikt in uns zu befrieden.

Zurück zu unserem Beispiel: „Ich will ein Eis!“
Eine mögliche Lösung könnte sein:

Der Erwachsene wägt alle Bedürfnisse und Wünsche ab und wendet sich dann an alle Teammitglieder: „Wir sind gut im Plan, der Text wird rechtzeitig fertig. Wir machen jetzt einen kleinen Spaziergang zur Eisdiele und es gibt ein Eis mit zwei Kugeln. Danach schreiben wir weiter.“

 

Können wir heilen?

„Heilen“ oder „heil sein“ bedeutet in allen germanischen Sprachen „ganz sein“.

Aber was heißt das?

  • Es heißt nicht, dass damit alle schwierigen und unangenehmen Gefühle weg sind. Es ist nicht alles gut.
  • Es heißt auch nicht, dass wir das Vergangene ungeschehen machen oder als „nicht schlimm“ betrachten. Es ist passiert und es war für uns als Kinder so gewaltig, dass wir es nicht bewältigen und nicht verarbeiten konnten und Traumatisierung erlebt haben.

„Heilen heißt alle Anteile zu integrieren und wohlwollend mit ihnen in Kontakt zu sein“. (Verena König, Webinar: Innere Kind Heilung – ein Schlüssel zu innerem Frieden, YouTube)

  • Wir nehmen alle Anteile in unser Bewusstsein.
  • Wir lernen uns selbst zu regulieren und ein selbstbestimmtes Leben zu führen.
  • Wir schauen wohlwollend auf uns und unsere Anteile.
  • Wir lernen uns selbst die Aufmerksamkeit, Zuwendung und Liebe zu schenken, die wir als Kind so sehnlichst vermisst haben. Damit nähren wir uns nach. Was wir konkret brauchen, lernen wir durch die Arbeit mit unserem inneren Kind bzw. unseren inneren Anteilen.

Ich habe es selbst erfahren. Dank der Arbeit mit meinen inneren Anteilen fühle ich mich nicht mehr so schmerzvoll zerrissen, sondern vollständig. Ich kann bewusst mit meinen inneren Anteilen umgehen und bin friedvoller und mitfühlender geworden. Die Sehnsucht nach einer liebevollen einfühlsamen Mutter ist nicht völlig verschwunden, aber sie ist viel kleiner geworden. Denn jetzt kann ich mir selbst immer öfter die Mutter sein, die ich mir so sehr gewünscht habe.

 

Fazit

Das innere Kind ist ein psychologisches Modell und dient uns als Symbol für die Summe aller Prägungen, die wir als Kinder erfahren haben. Entstehen Anteile unter traumatischen Bedingungen, werden einzelne zum Schutz der Person, abgespalten und verdrängt. Das führt zu Leid. Mit Hilfe der Anteile-Arbeit werden diese Anteile bewusst gemacht und integriert. Die Ego-State-Therapie richtet sich insbesondere an Menschen mit Kindheitstrauma. Menschen können heilen und sich selbst die Zuwendung und Liebe schenken, die ihnen als Kind gefehlt hat.

 

Buchempfehlungen:

  • „Aussöhnung mit dem inneren Kind“ von Erika J. Chopich, Ullstein Verlag
  • „Miteinander reden“ von Friedemann Schulz von Thun, rororor Verlag
  • „Bin ich traumatisiert?“ von Verena König, Gräfe und Unzer Verlag
  • „Das Kind in dir muss Heimat finden“ von Stefanie Stahl, Kailish Verlag
  • „Sonnenkind und Schattenkind: Eine inspirierende Erzählung zu „Das Kind in dir muss Heimat finden“ von Stefanie Stahl, Kalilish Verlag
  • „Einführung in die Ego-State-Therapie“ von Kai Fritsche und Woltemade Hartmann, Carl-Auer Verlag
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